rieder

MJg 1953 / Schadensreferentin i.R.

Sie war Vorreiterin für weibliche Generationen und hat das Eis gebrochen. War sie doch das erste Mädchen, das im ehrwürdigen Piaristengymnasium maturierte. So „allein“, wie sie sich als einziges Mädchen unter etwa 20 Buben fühlte, so „allein“ war sie auch während ihres Jus-Studiums. Studentinnen waren rar, daran hat sich in sechs Jahrzehnten einiges geändert. Sieben Prozent kamen damals aus Arbeiterklassen-Familien. Sehr vervielfacht hat sich dieser Prozentsatz in den vergangenen 60 Jahren nicht.

Christine Siebenhandl kam durch einen heute kaum mehr vorstellbaren Zufall zu den Piaristen. Die ersten sechs Jahre absolvierte sie im Amerlinggymnasium. Die geringe Schülerzahl machte es notwendig, dass Klassen zusammengelegt wurden. Und so verlängerte sich ihr Schulweg. Vom 15. Bezirk ging es nicht mehr „nur“ in den 6.Bezirk, in die Amerlingstraße, sondern auf den Jodok-Fink-Platz.  Zusammenwachsen war und ist schwierig. Heute noch – anlässlich eines Treffens zum runden Maturajubiläum – fallen Begriffe wie „Immigranten“ für die Gruppe, die die gewohnte Klassengemeinschaft der „Eingesessenen“ erweiterte. Ganz zu schweigen vom Umstand, dass da nun plötzlich ein Mädchen in der Bubengruppe war…

Die Annäherungsproblematik stand aber gewissen Schülerstreichen nicht sehr im Weg. Ein Griechisch-Professor sah sich während einer Stunde plötzlich von den Schulbänken  eingekreist und suchte sein Heil in der Flucht aus dem Fenster. Es kam zu keinem „Fenstersturz“, da sich die Klasse – wie ortskundige (Alt)Piaristen wissen – im zweiten Stock, vis-à-vis vom Stiegenaufgang befand.

Jahre später nutzte ein Schüler eben diesen Fensterausgang, um eine ihm fade Philosophiestunde spektakulär zu verlassen und auf dem Gang das Läuten der Schulglocke abzuwarten. Aber das ist eine andere Geschichte. 1952 hatte die Fensterflucht Karzer und andere Strafen zur Folge. Heute ist dieser Klassenraum zum Reich des Schulwartes mutiert.

Die junge Christine kämpfte sich durch die beiden Jahre. „Ich war immer eine schlechte Schülerin, aber ich hatte nie eine Nachprüfung“ erzählt sie zufrieden und erinnert sich an den Lateinprofessor, der ihr kostenlos am Nachmittag Nachhilfeunterricht gab.  Tempora mutantur.

Für die aus einer Arbeiterfamilie stammende Christine Siebenhandl war die gesamte Schulzeit schwierig und oft mit Angst verbunden. „In der Volksschule hatten wir keine Fensterscheiben. Die Schule lag in der französischen Zone, der Schulweg wurde oft zu Fuß zurückgelegt. Im Gymnasium wurde mir von den Kollegen oft geholfen. Aber es gab halt keine Kollegin, mit der ich mich unterhalten konnte. Und ich konnte auch keine Klassenkammeraden zu mir nach Hause einladen, wohnte ich doch in einer sehr kleinen Bassena – Wohnung“.


mjg1953klGruppen(Matura)bild mit Dame


Die Stammschüler und die „Immigranten“ maturierten schließlich, konnten sich aber ob der diversen Animositäten auf keine Maturareise einigen. Alle gemeinsam durften sich aber über einen Klassenkollegen freuen, der es in den folgenden Jahren schaffte, die „Bande“ doch zusammenzuhalten. August Kos organisierte 20 Jahre später die „Maturareise“ und sorgte danach dafür, dass die Klassengemeinschaft nicht nur die humanistischen Stätten Europas besuchte. Der Maturajahrgang 1953 zeichnet sich auch heute noch durch regelmäßige Treffen – sogar zweimal pro Jahr – aus. Für Christine waren die diversen Reisen immer ein Erlebnis. Sie schwärmt noch von Athen oder von Rom, wo sich ein Kollege, der Leiter des AUA Büros am Tiber wurde, um den Ablauf kümmerte.

Nach der Matura studierte sie Jus, machte ihren Magister und arbeitete als Schadensreferentin bei der Heimat-Versicherung und dann bei der Wiener Städtischen. „Damals gab es noch keine Schwierigkeiten, nach längeren, mutterschaftsbedingten Unterbrechungen wieder eine qualifizierte Arbeit zu finden. Wenn sie heute auf die Schulzeit zurückblickt, dann bedauert sie nur, dass der Unterricht in lebenden Fremdsprachen fast völlig gefehlt hat. Ihr Sohn heiratete eine Französin, lebt nun in Luxemburg. Um der Konversation willen lernte Christine Französisch und sorgte dafür, dass die vier Enkelkinder auch Deutsch lernen. Ihre Position als erstes Mädchen, das am Piaristengymnasium maturierte, war ihr gar nicht so bewusst. Aber vor 60 Jahren hatte man andere Sorgen. Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.   HD / Mai 2013