riebl-klMJg 1972 / Psychotherapeut und Winzer

Er ist wahrscheinlich der (ehemalige) Maturant, der sich am Weitesten von „seinem“ Gymnasium am Jodok-Fink-Platz entfernt hat. Geographisch gesehen und nicht gefühlsmäßig beurteilt! Am anderen Ende der Welt betont er immer wieder, dass er schon lange vor der Auswanderung, eigentlich seit der Kindheit, ein Emigrant gewesen sei, mit dem Blick immer zum Horizont.

Melbourne kam aber doch einigermaßen als Überraschung: Noch vor Abschluss seines Medizinstudiums in Wien gab es da einen Urlaub in Florenz und ein Pfeil Amors. Mit seiner bald geehelichten, australischen Frau begann er, nach der Promotion in Wien, in den frühen 80er Jahren sein neues Leben aufzubauen: Erstmal mit der Zulassungsprüfung für Mediziner, die er erst im zweiten Anlauf ablegen konnte, was ihn noch immer verärgert: „Unfair! Damals haben sie (Medical Board) alles getan, um Ausländer von einem Platz am eifersüchtig bewachten ‚medizinischen Futternapf’ fernzuhalten. Jetzt gehen sie um Mediziner betteln!“

Luis erzählt von den Abenteuern: der erste Geländewagen, die Reisen nach Zentralaustralien, das Arbeiten in abgelegenen Landkrankenhäusern, die alleinverantwortliche Behandlung des ersten Schlangenbisses. Auch die Ausbildung in der Psychiatrie, dann Kinderpsychiatrie und später als Lacanscher Psychoanalytiker waren für ihn „Abenteuer“, wenn auch intellektueller Art.

Heute arbeitet er in seiner Praxis - „mehr als er eigentlich sollte“, wirft seine zweite Frau Susanne, eine Berlinerin, ein – „an die zehn Stunden pro Tag“. Seine beruflichen Interessen beinhalten u.a. die negativen Auswirkungen des Verlustes der Privatsphäre und damit die Möglichkeit, Geheimnisse zu haben; Reizüberflutung und Gemütskrankheiten, die Bedeutung von Ernährung, physischer Aktivität und Schlaf auf die psychische Gesundheit. Ein wichtiger Teil seiner klinischen Arbeit bezieht sich auf Trauma und Aufmerksamkeitsstörungen.

Abseits der psychiatrischen Tätigkeit fand er eine Herausforderung in der Landwirtschaft. Als ihn seine erste Frau ersuchte, ein Haus am Meer für die Familie zu erstehen, kam er vergnügt vom Kauf eines prächtigen, 500ha Landgut in der Great Dividing Range, einer Bergkette eine Stunde Autofahrt nördlich von Melbourne, zurück. Glücklicherweise hatte das Gut unter anderem auch ein großes Wasserreservoir, an dem er einen Sandstrand anschütten ließ und zwei Palmen pflanzte. Dieses „Strand-Gut“ begeisterte ihn, seine damalige Frau aber weniger.

Der kleine Weingarten, von den Vorbesitzern (Porsche Australien) angelegt, wurde bald zu einem stattlichen Weingut erweitert, sodass Luis quasi notgedrungen mit zwei Partnern eine Weinkellerei erwarb, die zu einer der modernsten Kellereien in Viktoria ausgebaut wurde. Dazu kam die Entwicklung von zwei prominenten Weinmarken, die – obwohl seither verkauft – weiterhin existieren.

Ebenso existieren noch die Erinnerungen an die Schulzeit. In der fünften Klasse wechselte er vom Theresianum zu den Piaristen und machte seine erste, angenehme Erfahrung: Hier gibt es Mädchen in der Klasse! Die Zweite, weniger angenehme war, dass es da reichlich Gelegenheit für die Leiden des jungen Werther’s gab…

In der Klasse wusste er, auf sich aufmerksam zu machen. In der 7. bot das Fenster der Klasse im dritten Stock den richtigen Rahmen für einen nachhaltigen Auftritt oder besser gesagt Abgang. Luis kommentierte die lehrreich gemeinten Ausführungen eines Professors mit den Worten „Das reicht mir jetzt“, stand auf, öffnete das Fenster und sprang hinaus. Erst nach einer längeren Schrecksekunde realisierte die Lehrkraft, dass es das Fenster zum Gang und nicht das Fenster zum Hof war, durch das sich der „angefressene Schüler“ entfernt hatte. Dass er in Australien landen würde, hatte er damals wahrscheinlich nicht so recht vorhersehen können.   HD / Apr. 2015