guttmannMJg 1987 / Kinderarzt in Österreich, derzeit praktischer Arzt in Brasilien

Es war nicht das „Girl of Ipanema“, sondern Patricia aus dem Bezirk Santa Teresa. Die aparte Brasilianerin und die Copacabana zogen den Kinderarzt in ihren Bann. Er gab seine Karriere in Wien auf, lernte Portugiesisch und begann als „zugewanderter Carioca“ sein neues Leben. Als Mediziner arbeitet er nun im Regierungsprogramm "mais médicos" (mehr Ärzte) in einer Favela in einem Vorort von Rio de Janeiro.

Ein Weg, den er sich während seiner Schulzeit nicht im Traum vorstellen konnte. Da hat er einen Schwerpunkt auf die sportlichen Herausforderungen gelegt. „Ich war zwei Jahre Kapitän der Schülerliga-Fußballmannschaft und wir waren nicht unerfolgreich“ meint er verschmitzt. Das Team belegte bei den Wiener Meisterschaften den 3. Platz und damit die bisher beste Platzierung, die je eine Piaristenmannschaft erreichte.

Er erinnert sich noch gerne an seine Klassenvorständin Anita Kurzweil und an so manchen Streiche, über die er aber lieber den Mantel des Schweigens breitet. Nach der Matura begann er sein Medizinstudium mit dem Ziel, als Kinderarzt tätig zu sein. Von 1998 bis 2009 arbeitete er im SMZ-Ost, wo er zum Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde ausgebildet wurde.

rio-06-klIn seiner Freizeit erkundete er die Welt. Bei seinem ersten Urlaub in Brasilien 2005 lernte er Patricia kennen und lieben. Sie besuchte ihn auch in Österreich und entdeckte die Reize und Vorzüge der Alpenrepublik. Patricia hatte nach Ausbildungen als Lehrerin für Geschichte und dem Studium der Literaturwissenschaften und der Juristerei schlussendlich einen Job im Bundesgerichtshof in Rio bekommen, den sie nicht gerne aufgegeben hätte. Für Stefan schien im SMZ Ost der Plafond erreicht, also beschloss er, in Brasilien als Arzt tätig zu werden.

Ein Tapetenwechsel, der es in vielerlei Hinsicht in sich hatte, galt es doch vor allem portugiesisch zu lernen. Stefan fand den für Cariocas typischen Platz, die neue Sprache zu büffeln: die Copacabana, die für ihn zum angenehmen Studierzimmer wurde. Seinen Stammplatz am Strand hatte er bei Levy, der einen Kiosk betrieb. Dort lernte er für seine Prüfungen. Und weil ein brasilianischer Minister auch Levy heißt, nannte er den Kioskbesitzer immer „Ministro“.

rio-02-klStefan überwand alle bürokratischen Hürden und notwendigen Prüfungen, um seine Zulassung als Mediziner zu bekommen. „Die Prüfungen hatten es in sich. Nicht nur der neuen Sprache wegen, sondern auch durch das Reglement, dass man beim Scheitern in einem von drei Teilen auch die beiden bestandenen wiederholen musste“. Schließlich war es geschafft und Dr. Guttmann hatte sein jus praticandi auch für Brasilien in der Tasche.

Dann hörte er vom Projekt "mais médicos". Die Regierung stellt eine gewisse Anzahl von Ärzten an, die in den Armenvierteln von ganz Brasilien, den Favelas, für eine medizinische Grundversorgung sorgen. Stefan nahm die Herausforderung an und bekam einen Dreijahresvertrag.

Die Arbeitsbedingungen sind für einen sozialversicherungsverwöhnten Österreicher kaum vorstellbar. Guttmann muss aber selbst dort lästigen Papierkram bewältigen und Überzeugungsarbeit leisten, um zum Beispiel notwendige Medikamente genehmigt zu bekommen. Er ist mit oft schwierigen hygienischen Bedingungen konfrontiert und musste sich manchmal auch um seine eigene Sicherheit Gedanken machen. Vermehrte Schusswechsel in der von ihm betreuten Favela führten dazu, dass er bei den Regierungsstellen um eine Versetzung ansuchte. Nun fährt er täglich an die 50 Kilometer mit dem Zug, um in die Gemeinde Mesquita zu kommen. Dort versorgt er etwa 3.500 Menschen, Schwangere, Neugeborene, Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Pensionisten und bekommt das, was für ihn am Bedeutungsvollsten ist: die Wertschätzung der Einwohner, die manchmal zum ersten Mal in ihrem Leben von einem Arzt betreut und versorgt werden, neugierig fragen, woher er denn stamme und sich über seinen lustigen "Dialekt" amüsieren.   HD / Jun. 2015

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