Schüler-Memoiren aus sieben Jahrzehnten.

Wir haben eingeladen, in den Erinnerungen zu kramen und uns die persönlichen Gedanken an die Zeit im Piaristengymnasium zu schicken.
Die G’schichtln sind so vielfältig wie die Schar der Schüler/-innen, die mehr oder weniger der acht notwendigen Jahre am Jodok-Fink-Platz verbrachten.
Teil 2 zeigt, wie unterschiedlich die Schulzeit – und auch die Professoren/-innen erlebt wurden.

Das Piaristengymnasium: Das Positive überwiegt
Anmerkungen zu einer insgesamt doch erfreulichen Lebensphase

Nach drei Jahren, die ich – aus familiären Gründen – an einem anderen Wiener Gymnasium verbracht hatte, kehrte ich 1958 an das Piaristengymnasium zurück; an das Bundesgymnasium Wien VIII, um dort die siebente und die achte Klasse zu absolvieren und schließlich für „reif“ erklärt zu werden. Ich erinnere mich an viele und an vieles – und insgesamt sind diese Erinnerungen so, dass ich viele davon immer wieder in mir abrufe.
Ich habe vielen Lehrern einiges zu verdanken. Vieles, was sie vortrugen, öffnete mir die Augen und machte mich neugierig: auf mehr, auf tieferes Wissen. Ist das nicht das höchste Lob, das einer Bildungsanstalt ausgestellt werden kann? Zu meinen Lehrern zählten:

Prof. Atzinger unterrichtete Deutsch – und auch das Freifach Literaturkunde der Gegenwart. Ihm verdanke ich, dass ich über die traditionellen Verehrungsrituale, die den Klassikern (Goethe und Schiller und Grillparzer) entgegenzubringen waren, dass ich auch über den Zugang zu den Anfängen moderner Literatur (Ibsen und Tschechow und Schnitzler) auch Gegenwartsliteratur kennen lernen konnte – etwa Sinclair Lewis. Dass ich dessen „Babbit“ gelesen habe, verdanke ich der persönlichen Empfehlung Atzingers. Dessen Themenstellungen für Schularbeiten beinhalteten auch Fragestellungen zur Berechtigung der Todesstrafe und zur Ambivalenz der noch sehr jungen österreichischen Neutralität.

Prof. Dienelt war mein Lehrer in Griechisch und Philosophie. Dass ich für die mündliche Matura mich für das Fach Griechisch entschied, mag für Dienelts Fähigkeit sprechen, mir Texte wie „Antigone“ nahezubringen. Vor allem aber verdanke ich Dienelt ein bleibendes Verständnis für Fragen der Ethik; und auch ein Verständnis für die Vielschichtigkeit des Denkens von Karl Marx – Unterbau und Überbau; damit aber auch dafür, dass es Analogien zwischen Marx und Sigmund Freud (Es, Ich, Über-Ich) zu entdecken gab. Ich verdanke diesem Philosophieunterricht ein erstes Wissen über eine durchaus auch sozialwissenschaftlich unterfütterte Dialektik, die mit den Begriffen „Idealismus“, „Realismus“ und „Materialismus“ einfach und dauerhaft prägend vermittelt werden kann. Das war so etwas wie ein Einstieg in Ethik, aber auch in Politische Bildung.

Prof. Goigner verstand es, seine für alle erkennbare, geradezu erotische Liebe zur Musik an uns weiterzugeben. Er nahm uns in Konzerte mit und gab uns – direkt und indirekt – ein Grundverständnis für die Atmosphäre von Musikverein und Konzerthaus. Seither kann ich – als keineswegs regelmäßiger Besucher von Konzerten – die Instrumente der Holzbläser unterscheiden: Flöte, Klarinette, Oboe, Fagott. Und mit Vergnügen erinnere ich mich an Goigners spontanen, ja empörten Ausruf, mit dem er auf die damals aufkommenden Tendenz reagierte, an der Staatsoper Rollen auch in nicht-italienischen Opern italienisch zu singen: „Ich warte nur noch darauf, dass demnächst die Carmen russisch gesungen wird.“

Prof. Klettenhofer ist mir auch als Turnlehrer in Erinnerung – sein „Rechts um, im Laufschritt Marsch“ machte klar, dass er von einer anderen Zeit geprägt war. Vor allem aber war er für mich Geschichtelehrer. Seine Randbemerkungen über das „perfide Albion“ (etwa im Zusammenhang der Beschießung Kopenhagens durch die britische Flotte in den napoleonischen Kriegen) und über die Nationaleigenschaften bestimmter Völker („Tapfer waren die Polen ja immer, aber…“) waren nicht gerade von besonderer Differenziertheit. Aber immerhin endete Klettenhofers Unterricht in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – damals alles andere als selbstverständlich.

Prof. Konschill konnte uns die Ästhetik der Mathematik vermitteln. In Erinnerung blieb auch die Ästhetik seines Stils: Er war der einzige, der uns in der Oberstufe mit „Sie“ ansprach; und seine leicht ironischen Weisheiten („Erst denkt der Bub, dann spricht der Bub“) zitiere ich nunmehr schon sechzig Jahre. In Erinnerung ist mir aber auch, als 1959 – im „Haydn-Jahr“ – der Mathematiker Konschill uns in sein Inneres blicken ließ: Er wünsche uns allen, die Musik Haydns so zu schätzen und zu lieben, wie er selbst es Zeit seines Lebens vermochte.

Prof. Strondl war für Naturgeschichte zuständig – ein Fach, das meines Wissens inzwischen in „Biologie“ umbenannt ist. Durch Strondl ist mir nicht nur klar, welche Bedrohung Bandwürmer für Menschen sein können – Strondl wurde von uns eben wegen seiner so bildlichen Pädagogik auch „Wurm“ genannt. In Strondls Unterricht begriff ich auch, welche Wandlungen die Erde über die Jahrmillionen durchmachte – etwa, dass aus riesigen Farnwäldern sich durch Evolution die harmlos-kleinen Farne unserer Zeit entwickelten.

Das alles sind Beispiele für Positives. Negatives will ich nicht an Personen festmachen. Aber es gab vieles, was ich – vor allem rückblickend – als Defizit empfinde: vor allem das absolute Fehlen sexueller Aufklärung. Die Schule ließ 10- bis 18-Jährige ganz einfach allein, wenn es um die komplexen Entwicklungsschübe dieser Altersstufen ging. Es fehlte auch eine – religionsübergreifende, systematische – Vermittlung von Ethik. Als katholischer Schüler habe ich nie (nicht in Religion und nicht in einem anderen Fach) etwas über Begriffe wie „Agnostizismus“ oder „Säkularität“ gehört, und der Islam blieb auf die bunten Bilder der Türkenbelagerungen Wiens reduziert. Das Wissen über „Demokratie“ (jenseits von Plato und Aristoteles) wurde offenbar vorausgesetzt. Rassismus und Antisemitismus, die uns im Alltag ständig begegneten, wurden im Unterricht überhaupt nicht thematisiert.

Und doch war diese meine Schule politisch – vor allem in Form verbaler Gefechte zwischen Schülern (weniger auch Schülerinnen). Diese Konflikte wurden in heftigen Diskussionen ausgetragen; Diskussionen, in denen mit großer Heftigkeit der Judenmord in den Gaskammern des NS-Staates den Atombomben über Hiroshima und Nagasaki gegenübergestellt wurde; Wortgefechte, bei denen auch hinterfragt wurde, ob Franklin Roosevelt nicht eigentlich „Rosenfeld“ geheißen habe; und es gab ständig Streit über die Existenz einer „österreichischen Nation“. Dabei handelte es sich immer um Auseinandersetzungen zwischen zwei verbal besonders artikulierten Minderheiten unter den Schülern, die von einer „schweigende Mehrheit“ mit vorsichtiger Distanz beäugt wurden: Auf der einen Seite standen katholische Österreich-Patrioten, auf der anderen Seite postnazistisch geprägte Deutschnationale. In diesen vor allem in Pausen, auf Schikursen und auf Wandertagen ausgetragenen Konflikten spielte irgendeine „Linke“ keine Rolle. Politisch Linksstehende waren im Piaristengymnasium der 1950er Jahre ganz einfach abwesend.

Insgesamt? Die Matura im Jahr 1960 war ein Abschied von einer Lebensphase, die zu durchwandern eine Notwendigkeit war; eine Notwendigkeit, deren Sinnhaftigkeit von mir nie angezweifelt wurde. Ich habe die Matura aber nicht als Befreiung von einem Übel namens Schule empfunden. Es ist eben viel Positives geblieben – und nichts, was ich als Trauma bezeichnen könnte. Vieles, vor allem viele Lehrpersonen, sind mir über die Jahrzehnte fest in Erinnerung geblieben. Manchmal mischt sich in diese Erinnerung auch ein Stück Dankbarkeit; und, altersbedingt, einiges an Nostalgie.
Anton Pelinka, Maturajahrgang 1960

 

Individuelle Professoren-Einschätzung


Atzinger: Den hatten wir in Geschichte, ein eher staubtrockener Typ,
genau so war seine Vermittlung der Geschichte. Wie spannend die sein kann habe ich mir erst später selbst erarbeitet.


Dienelt: Unser Klassenvorstand.
Menschlich eine echte Perle, seine Klasse waren seine Kinder.
Auch wenn er fachlich (wir hatten ihn in Griechisch) streng, aber immer gerecht war.


Geyer: Geographie. Kriegsverletzt, sein rechter Arm war nur ein Anhängsel.
Hatte möglicherweise auch Schmerzen, stand jedenfalls ziemlich regelmäßig unter hochprozentigen flüssigen „Schmerzmitteln“.
Oft reizbar und unberechenbar. Seine Beurteilungen wenigstens gleichmäßig in der Mitte.


Kettner: Musik. Versuchte immer lustig zu sein.
Spielte Geige, nicht ganz Künstler, nicht ganz Lehrer.
Zumindest angenehme Stunden bei ihm.


Klettenhofer: Turnen. Versuchte uns Sport und Bewegung nahe zu bringen.
Wenn’s nicht leicht ging war es ihm auch egal.
War mental wohl der Pension schon näher.


Konschill Friedrich: Mathematik.
Neben Dienelt der zweite Lichtblick im Lehrkörper.
Bezeichnend sein Spitzname „Papa Konschill“.
Guter Lehrer, konnte die Mathematik gut erklären
und hatte die richtige Mischung von Fordern und Fördern.


Omann: Philosophie.
Leicht überfordert. Indirekt haben wir in ihren Stunden viel gelernt.
Wir haben uns nämlich immer im vorhinein irgendein Thema ausgemacht und die Rollen verteilt
und dann in der Stunde heiße Diskussionen um Nichts und wieder Nichts abgeführt.
Die arme Frau Professor war immer nur Zuschauerin, aber immer fasziniert.


Pater Schmidt:
Er hatte den Spitznamen Bobosch (und auch „Don Camillo“), fragen Sie mich nicht, woher der kam.
Guter Mensch, als Lehrer teilweise überfordert. Ich konnte ihn etwas näher kennenlernen, weil ich einer der Wenigen war, die in Religion maturiert habe.
Theologisch hoch gebildet, ich hatte jede Unterstützung von ihm.
Die Arbeit, die er mir als Vorbereitung für die Matura aufgegeben hatte
(Vergleich der monotheistischen Religionen) hat mir mehr gebracht als der Religionsunterricht aller Schuljahre.


Strondl: Naturgeschichte.
Eher ein Wissenschaftlertyp.
Als Lehrer eher farblos.


Vogelsang: Latein.
Alles was mir zu diesem Herrn einfällt wäre klagbar.
Am besten man breitet über ihn den Mantel des Vergessens.
Mag aber auch mein persönlicher Eindruck sein.
Peter Vogler, Maturajahrgang 1961


Auf in neue Zeiten

Als wir 1965 unsere Laufbahn am Piaristengymnasium starteten, war natürlich vieles anders als heute. Die zwei Klassen pro Jahrgang waren eine reine Knabenklasse und – immerhin – eine gemischte Klasse. Unser Jahrgang bildete insofern eine Ausnahme, als neben der reinen Knabenklasse zwei gemischte Klassen starten durften. Grund war der geglückte Versuch von Eltern und Lehrerin, den Großteil einer Volksschulklasse in der Albertgasse geschlossen ins Piaristengymnasium wechseln zu lassen. In der Oberstufe war es dann zu Ende mit dem Männerbund der A-Klasse und der langjährigen Klassengemeinschaft der C-Klasse. Die SchülerInnen wurden kräftig durchgemischt und ab nun bildete das Häufchen des humanistischen Zweiges (zu Latein auch Griechisch) die A-Klasse, während die beiden anderen Klassen dem neusprachlichen Zweig (Englisch und Französisch) folgten.

Direktoren (immer Männer) und ProfessorInnen kamen und gingen und hinterließen mehr oder weniger Spuren bei uns. Einige SchülerInnen verließen uns, ein paar kamen hinzu. Die meisten aber schafften gemeinsam die Matura und ein Teil hat über die Schulzeit hinaus noch Kontakt gehalten – über die Altpiaristen, aber auch außerhalb. Auf Details der handelnden Personen möchte ich in der gebotenen Kürze nicht eingehen, ähnliche Charaktere und Situationen wird es in anderen Jahrgängen und Jahrzehnten wohl auch gegeben haben. Stark verändert haben sich jedoch die Rahmenbedingungen. Manche heutigen Unterrichtsfächer existierten bei uns noch nicht, viele haben sich wohl inhaltlich verändert, manche heißen nur anders. Besondere Highlights für uns waren natürlich Landschulwochen und Schikurse – ob das von heutigen Schülern noch so abenteuerlich empfunden wird, weiß ich nicht. Im Sommer gab es neben Wandertagen wöchentlich Sport im Augarten (oder im Innenhof). Und nicht nur der Turnsaal, sondern auch die anderen Schulräume und vorhandenen Lehrmittel haben sich enorm verbessert, wie wir vor einigen Jahren bei einer Führung durch die Schule feststellen konnten. Nur die Bibliothek, die zu unserer Zeit schon verstaubt wirkte und modrig roch, hat sich – auch durch die Unterstützung der Altpiaristen – verjüngt und verschönt. Ad multos annos!
Herbert Toda, Maturajahrgang 1973